Medizin für Frauen: Deine Gesundheit ist weiblich

Medizin für Frauen: Deine Gesundheit ist weiblich

Warum Frauenherzen anders schlagen und was Schmerzen mit den Hormonen zu tun haben: Unser Geschlecht wird von einer männerdominierten Medizin immer noch falsch verstanden und behandelt.

Forscherin in weißem Mantel im Labor© iStock
Umdenken in der Forschung: typisch weibliche Erkrankungen werden nun intensiver untersucht und Medikamente dafür entwickelt.

Kleiner Unterschied mit großen Nachteilen für die Behandlung 

Kaum zu glauben: Bis zu zehn Jahre müssen Frauen sich mit starken Regelblutungen und -schmerzen herumschlagen, bis die zweithäufigste (!) gynäkologische Erkrankung, eine Endometriose, erkannt wird. Das kritisierten Gender-Medizinerinnen auf dem diesjährigen Deutschen Schmerzkongress. Sie forschen zu den Unterschiedlichkeiten der Geschlechter (engl. gender) in der Medizin. 

Und da besteht Nachholbedarf: Noch viel zu oft werden Frauen wie Männer behandelt. Dabei ist offensichtlich: Frauen sind anders, ihre Gesundheit ist weiblich! 

Dass Frauenherzen anders schlagen und "Eva-Infarkte" später erkannt werden, hat sich herumgesprochen. Doch der kleine, insbesondere der hormonelle Unterschied macht sich auch im Immunsystem, bei der Schmerzwahrnehmung, in der Wirkung von Medikamenten (Frauen brauchen andere Dosierungen, siehe rechts unten) sowie bei Depressionen (siehe rechts) bemerkbar. Das wird in der Diagnose und Behandlung nach wie vor zu wenig berücksichtigt. Frauen leiden unnötig lange unter Schmerzen, neigen häufiger zu Migräne, sterben häufiger am Herzinfarkt. Zusätzlich unterschätzen viele Frauen ihre körperlichen Fähigkeiten. Beispiel Kraftsport: Die meisten halten ihn für eine Männerdomäne und für weibliche Körper ungeeignet. Dabei ist Kraftsport gerade in den Wechseljahren ideal zum Aufbau von Muskeln und zur Prävention gegen Osteoporose (siehe Buch-Tipp). Also gilt es dazuzulernen – für Ärzte, Wissenschaftler und für uns!

Besser einmal zu viel nachfragen

Knapp Acht Minuten Zeit nimmt sich ein deutscher Arzt für seine Patientin. Wie Sie die optimal nutzen: Notieren Sie vorher Ihre Fragen und die Beschwerden – wann sie auftreten und wie stark sie sind, welche Medikamente Sie nehmen, wie sie anschlagen, ob und welche Nebenwirkungen sie haben. SIND DIE VERORDNETEN MEDIKAMENTE für Frauen geeignet und ist die übliche Dosierung sinnvoll? Fragen, die Sie Ihrem Arzt stellen sollten. Erkundigen Sie sich auch nach Alternativen, speziell bei besonderen Therapien oder Operationen. Sollte der Arzt unwirsch oder gar nicht reagieren, zögern Sie nicht, die Praxis zu wechseln. Bei bestimmten planbaren OPs haben gesetzlich Versicherte das Recht auf eine zweite Meinung.

Immunsystem

Weibliche Abwehrkräfte reagieren schneller und stärker – das liegt am bzw. auf dem zweiten X-Chromosom. Daher sprechen Frauen intensiver auf Impfungen an und sind besser gegen einige Erkrankungen gerüstet. 

  • Erkältungen verlaufen milder, Hepatitis tritt seltener auf. Covid-19-Infektionen verliefen bei Frauen oft weniger dramatisch. 
  • Kehrseite der Medaille: Das Immunsystem spielt schneller verrückt und Autoimmunerkrankungen wie Hashimoto (Schilddrüsenstörung) oder rheumatoide Arthritis treten häufiger auf . 

TIPP: Nach Impfungen (z. B. Grippe) ein, zwei Tage Schonzeit einplanen. 

Schmerzen

Anstellerei, Ausrede – das müssen sich Frauen, die über Schmerzen klagen, oft noch anhören. Dabei weiß man mittlerweile: Die Schmerzwahrnehmung ist bei Frauen deutlich ausgeprägter, bei Männern dämpft das Hormon Testosteron die Weiterleitung von Schmerzimpulsen ins Gehirn. Aber auch stärkere Schwankungen des Östrogenspiegels (etwa während des Zyklus oder der Wechseljahre) spielen eine Rolle.

  • Migräne tritt oft durch Östrogenabfall während der Regel auf – man spricht von menstrueller Migräne. 
  • Die erhöhte Sensibilität für Schmerzen führt außerdem dazu, dass Beschwerden bei Frauen häufiger chronisch werden. 

TIPP: Schmerzen immer ernst nehmen und abklären lassen. So können starke Regelbeschwerden auf eine Endometriose (Gewebewucherungen in Bauch und Unterleib) hindeuten. MEDIKAMENTE Die meisten Mittel sind an Männern getestet worden. Bei Frauen, die im Schnitt leichter sind, weniger Muskeln, aber mehr Fettgewebe haben, schlagen Wirkstoffe anders an. Auch die Dosierung ist nicht auf einen Frauenkörper zugeschnitten. » Zu unterschiedlichen Wirkungen und mehr Nebenwirkungen kommt es vor allem bei Schmerz- und Beruhigungsmitteln, Blutdrucksenkern, Antidepressiva und Antiallergika. TIPP: Fragen Sie Ihren Arzt, ob das Medikament auch für Frauen gut geeignet ist – vor allem, wenn Nebenwirkungen auftreten

Depressionen

Frauen leiden fast doppelt so häufig unter Depressionen. Möglicherweise liegt es an der Mehrfachbelastung (Job, Familie, Haushalt), ist hormonell oder genetisch bedingt. Forscher wiesen bei betroffenen Frauen hohe Konzentrationen einer bestimmten RNA (Ribonukleinsäure) nach. 

  • Patientinnen neigen zum Grübeln, entwickeln Ängste. Männer flüchten eher in Suchterkrankungen oder Aggression. 
  • Antidepressiva wirken bei Frauen stärker und länger, das Risiko einer Überdosierung ist erhöht. 

TIPP: Nicht allein auf Medikamente setzen. Kombiniert mit einer Psychotherapie ist der Erfolg am größten. 

Herz

Frauenherzen sind kleiner, schlagen schneller. Bis zur Menopause hat das Hormon Östrogen aber schützende Wirkung. Sinkt der Östrogenspiegel, steigen die Risiken.

  • Bluthochdruck wird oft spät erkannt und Blutdrucksenker wirken anders. So reicht bei Betablockern meist die halbe Dosis. 
  • Ein Infarkt äußert sich oft untypisch, durch Bauch-, Schulterund Armschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Atemnot. 

TIPP: Bei den genannten Anzeichen unbedingt den Notarzt rufen!

Die EU schreibt nun endlich Studien mit Frauen vor 

Lange galt der Durchschnittsmann mit 80 Kilo als Maßstab klinischer Studien und selbst Versuchstiere wie etwa Mäuse waren männlich. Kein Wunder, dass viele Medikamente bei Frauen anders wirken, mehr Nebenwirkungen haben oder auch versagen. Seit Januar 2022 schreibt nun eine EU-Regelung eine gerechtere Geschlechterverteilung für klinische Studien vor: Richtet sich das Medikament hauptsächlich an Frauen, soll es auch vornehmlich auch an Frauen erprobt werden. Die Anteile der Probandinnen und Probanden orientieren sich daran, wie häufig die Krankheit bei Frauen und Männer auftrifft. Geht es etwa um ein Medikament gegen Schilddrüsenstörungen, muss der Frauenanteil höher sein. Das macht Studien aufwendiger und teurer, zahlt sich aber aus!

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