YouTube & Twitch verschärfen die Lage des linearen Fernsehens

YouTube & Twitch verschärfen die Lage des linearen Fernsehens

Was gucken wir denn heute? Als Antwort auf diese Frage zieht kaum mehr jemand die Fernsehzeitung heran. Meist liegt das Antwortspektrum zwischen "Twitch, YouTube, Netflix, Disney Plus oder Amazon Prime". TV schauen? Nein! Wenn ein Film von drei oder vier Werbungen unterbrochen wird, vergeht hieran schnell die Lust.

Das lineare Fernsehen hat ernstzunehmende Probleme und muss sich etwas einfallen lassen. Es sind nicht nur die Streamingdienste wie Netflix, die zu Konkurrenten geworden sind. Mehr und mehr machen YouTube und Twitch ihre Konkurrenzsituation klar. Ob es hier noch "Rettung" gibt, ist mehr als zweifelhaft.

Das Fernsehen hat sich im Laufe der Jahre stark verändert.© Unsplash/Glenn Carstens-Peters

Die Natur der Livestreams- und Videos hat sich verändert

Twitch? Das war doch diese Plattform für Gamer, die sich selbst verwirklichen wollen, oder? Schon lange nicht mehr. Mittlerweile ist Twitch ein Publikumsmagnet für unterschiedliche Interessengebiete. Dort werden sogar beliebte Events wie die Baller League kostenlos zum Abruf bereitgestellt, wie auf ExpressVPN dargestellt wird und obwohl Twitch dann und wann Werbung laufen lässt, ist die Frequenz deutlich geringer als im TV. Hinzu kommt, dass der Zugriff von überall aus bequem möglich ist.

Ein tolles Beispiel ist das Format Big Brother. Mit der „Knossi-Edition“ ging der Streamer im Jahr 2023 an den Start und holte im Median zwei Millionen Zuschauer vor den Livestream. Seit März 2024 läuft die (lang ersehnte) „Normalo-Version“ über den Streaming-Sender Joyn. Jeden Montag haben die Zuschauer die Möglichkeit, bei Sat.1 die Live-Show mit Exits der Kandidaten und besonderen Herausforderungen zu schauen. Die Quoten sinken hier deutlich und liegen unter dem, was Knossi auf seinem Twitch-Kanal bieten konnte.

Ähnlich zeigen sich die Verhältnisse im Vergleich von Mediathek und YouTube. RTL bietet mit dem Format „Alone“ eine Adaption dessen an, was Fritz Meinecke mit 7 vs. Wild auf YouTube geschaffen hat. Das erfolgreichere Format? Ganz klar die YouTube-Edition. Das könnte zum Teil an den prominenten Kandidaten liegen, zu großen Teilen aber auch an der Art der Vermarktung. Es ist für die linearen Sender nicht mehr so einfach, die Interessen der Zielgruppen zu erfüllen.

Lineares TV bekommt ernsthafte Konkurrenz

Nach wie vor gehören TV & Streaming zu den liebsten Hobbys der Deutschen, allerdings hat die Art des Konsums deutlich andere Züge angenommen. Noch in den 1980-er Jahren waren Serien wie Dallas und der Denver Clan echte Straßenfeger. Wenn zur Prime Time eine neue Episode über den Bildschirm flackerte, saß kaum jemand in der Kneipe oder war noch draußen unterwegs.

Die Abhängigkeit vom linearen Fernsehen ist heute praktisch nicht mehr existent. Noch bevor ein Kinofilm seine „Free-TV-Premiere“ hat, läuft er auf einem der großen Streaming-Sender und ist dort jederzeit abrufbar. Zwar müssen Kunden für den Zugang zum Stream bezahlen, aber die Kosten sind (verglichen mit den Gebühren für einen Kabelanschluss) recht gering. Und bei Twitch und YouTube ist das Zuschauen sogar kostenlos. Woran liegt es aber, dass die Menschen lieber streamen, anstatt das (häufig sogar moderierte) Fernsehen vorzuziehen? Die Gründe sind vielfältig:

  • Abruf nach Wunsch: Netflix, YouTube und Co. bieten Content immer dann, wenn er gerade gewünscht ist. Es gibt keine Abhängigkeit mehr zur Sendezeit, sodass die Flexibilität deutlich gestiegen ist. 
  • Werbefreiheit: Mit Ausnahme von kostenlosen Diensten wie Twitch und YouTube sind die meisten Streaming-Dienste für Abonnenten werbefrei. Die TV-Werbung hingegen zieht sich oft über fünf Minuten und ist eine unliebsame Unterbrechung im Programm. 
  • Verfügbarkeit: Ob auf dem Tablet, dem Handy oder dem Smart-TV – die großen Streaming-Dienste sind überall verfügbar. Zwar ist es auch möglich, Live-TV auf dem Handy zu schauen, das machen aber die wenigsten. 

Die Art der Streams hat sich verändert

Exklusive Kooperationen mit TV-Sendern? Das muss heute nicht mehr sein. Kult-Ikone Stefan Raab kündigte sein Comeback an und wird erneut mit Regina Halmich in den Boxring steigen. Bislang war Pro 7 als Heimatsender von Raab für solche Events verantwortlich. Es wird bereits darüber geraunt, dass diese Veranstaltung kostenlos gestreamt werden könnte, beispielsweise über Twitch oder YouTube. Ein riesiger Schreck für Pro 7, denn das einzige Zugpferd Raab dürfte beim Sender für Hoffnung gesorgt haben.

Abseits von menschlichen Zugpferden ist es auch wichtig, einen Blick auf die Art der Sendungen zu werfen. Anfangs waren Netflix und Co. vor allem für Serien und Filme berühmt. Heute werden über Streaming-Dienste auch Reality-Shows ausgestrahlt, die sich im deutschen Fernsehen großer Beliebtheit erfreuen. So strahlte Joyn das Format „Forsthaus Rampensau“ aus, während Amazon Prime mit der Reality-Darbietung „The 50“ für Aufruhr sorgte.

Bei „Forsthaus Rampensau“ hatte sich wieder einmal der klare Vorzug der Joyn-Community gezeigt. Während die Folgen einzeln auf Pro 7 und unterbrochen von Werbung ausgestrahlt wurden, konnten die Zuschauer auf Joyn bereits im Vorfeld mehrere Folgen schauen. Warum also noch zur besten Sendezeit vor dem Fernseher sitzen, wenn die Freunde bereits über die letzten zwei Folgen diskutieren? Hier ist es Aufgabe des Fernsehens, sich etwas neues zu überlegen.

Die Sender setzen auf Mediatheken

Dass es die Flexibilität der Nutzer ist, die Streams so beliebt machen, haben TV-Sender erkannt. RTL Now, Joyn und auch die Mediatheken von ARD und ZDF sind ein Versuch, hier Abhilfe zu schaffen. Mit Erfolg, denn sie werden wahrgenommen. Dieser Schritt war für das lineare TV entscheidend, um den Anschluss an die streamende Konkurrenz nicht ganz zu verlieren. Jetzt wäre es nötig, einzigartige und exklusive Formate anzustreben, die nicht über Netflix, Twitch und Co. abrufbar sind.

Mit Big Brother hat man diesen Versuch gestartet, insbesondere da die Einschaltquoten bei der Promi-Version in den vergangenen Jahren immer konstant gut waren. Verglichen mit dem Erfolg von Jens Knossalla über Twitch hat der „Container“ bei Sat.1 und Joyn aber wenig gute Karten. Das lässt die Vermutung zu, dass auch die Bekanntheit von Teilnehmern eine gewisse Rolle spielen könnte. Zugpferde wie „Knossi“ sorgen bei Twitch regelmäßig für Action und volle Chatrooms. Ein Container voller Unbekannter scheint heute aus der Zeit gefallen, die Leute interessieren sich dafür nicht mehr.

Fazit: Lineares Fernsehen muss sich umstrukturieren

Es wird schwer für das Fernsehen, wie wir es kennen. Schon heute schalten überwiegend Menschen über 50 ein. Die junge Zielgruppe abzuholen ist ein (fast) unmögliches Unterfangen, denn diese sind mit Alternativen aufgewachsen.

Chancen sind bei exklusiven Events und Kooperationen zu sehen, die nicht parallel auf YouTube, Twitch und Co. laufen. Das kostet allerdings Mut und Geld. Es wird sich zeigen, welche Umstrukturierungen diesbezüglich auf die TV-Zuschauer zukommen.